Archiv für Oktober 2017

Liebe Gemeinde,

Donnerstag, 5. Oktober 2017

der Baum, der auf dem Foto abgebildet ist, steht im Garten des Ehepaares König. Er ist durch ein ehemaliges Zifferblatt unserer Turmuhr gewachsen, das vor vielen Jahren ausgetauscht wurde. Das Ehepaar König hat ihn auf dem Stamm eines alten Zwetschgenbaumes befestigt. Dieser war alt und ebenfalls unbrauchbar geworden, also wurde er gefällt, um Platz zu machen für dieses Zifferblatt. Wie sie sehen, hat der Baum neues Leben gewonnen.S22C-117082415290 Durch das Zifferblatt hindurch ist ein neuer Baum gewachsen. Es war noch genügend Kraft in diesem alten Stamm und seine Wurzeln haben ihn mit neuem Leben versorgt. Der neue Baum entspricht aber nicht dem alten. Es ist nicht der veredelte Zwetschgenbaum, sondern die ursprüngliche, wilde Zwetschge, die nun herangewachsen ist. Hildegard König-Grewenig hat für dieses Wahrzeichen des Lebens einen wunderbaren Spruch ersonnen: Er lautet:

Die Kraft der Wurzel

wächst durch die Zeiten.

Man kann es nicht treffender ausdrücken und dieses Sinnbild des Lebens macht deutlich, wie sehr wir aus unseren Wurzeln leben und wieviel Kraft, wir aus unseren Wurzeln ziehen. Um es bildlich zu sagen: Wir sind Kinder des Himmels und der Erde. Wir brauchen beides, um erfüllt leben zu können: Einen Ursprung, aus dem wir leben und ein Ziel, dem wir uns entgegenstrecken. So wie der Baum sich dem Licht entgegenstreckt, so sehnen wir uns nach Liebe, nach Güte, nach all dem, was unser Wesen reicher, schöner und größer macht.

Mir ist dieses Bild auch zum Sinnbild unserer Kirche geworden. Wir feiern in diesem Jahr den Thesenanschlag Martin Luthers. Es wurde der Initialschlag für eine Reformation, die die Kirche grundlegend veränderte.

Martin Luther wollte zurück zu den Wurzeln unseres Glaubens. Er wollte zurückkehren zu dem Menschen, den unsere Kirche als ihren Ursprung bekennt und aus dem sie lebt: Jesus Christus. In ihm sehen wir uns im Licht Gottes. Wir selbst brauchen nichts leisten, nichts darstellen. Gott liebt uns und wir brauchen zu dieser Liebe nur Ja sagen. Alles, was wir tun und an Frucht bringen, entspringt dem Glauben an diese Gnade Gottes. Wir wurzeln in der Liebe Gottes. Um diesem Glauben wieder Geltung zu verschaffen, hat er die Kirche grundlegend umgestaltet. Er hat den Baum radikal gestutzt und alles beseitigt, was diesem Glauben widerspricht. Aus der Wurzel wuchs dann ein neuer Baum. Für Martin Luther war diese Gestalt näher an der ursprünglichen Kirche.

Wir erinnern uns in diesem Jahr an diese Erneuerung, die von vielen Männern und Frauen ausgegangen und vorangebracht worden ist. Dieser evangelische Glaube ist immer noch lebendig. Er gibt uns Halt. Er trägt uns. Er nährt uns. Er gibt uns Kraft. Natürlich ist auch unsere Kirche nicht mehr dieselbe. Auch die evangelische Kirche musste sich in den letzten Jahren immer wieder reformieren, musste ihre Wurzeln neu in den Boden des Evangeliums strecken, um Gottes Liebe zu erfahren und zu erkennen, an welchen Stellen Reformation nottut.

Die Zeiten haben uns verändert. Wir haben lernen müssen, dass die Diakonie ein wesentlicher Bestandteil unserer Kirche ist. Wir haben lernen müssen, dass man Glauben nicht erzwingen kann und wir im Respekt vor dem Bekenntnis der anderen den Dialog mit anderen Konfessionen und Religionen suchen müssen. Wir haben lernen müssen, dass Frauen in denselben Ämtern und Diensten zur Verkündigung des Evangeliums beitragen sollen. Wir haben 400 Jahre gebraucht, aber aus unserer Kirche sind Frauen als Pfarrerinnen und Prädikantinnen nicht mehr wegzudenken. Wir haben vieles lernen müssen.

Das ist eine der Stärken unserer Kirche. In dem sie sich dem Wort und dem Geist Gottes stellt und indem sie auf die Menschen achtet, kann sie sich immer wieder erneuern. In den letzten Wochen habe ich viel darüber nachgedacht, was für mich ganz persönlich wichtig ist an unserer evangelischen Kirche. Es ist die Freiheit des Glaubens, sich weiterzuentwickeln, ohne den Bezug zu seinen Wurzeln zu verlieren. Auch das macht mir das Bild des Baumes, der durch das Ziffernblatt wächst, deutlich: unser Glaube wächst mit und durch die Zeit.

Beten wir darum, dass Gott uns durch seinen Geist diese Kraft zu Erneuerung immer wieder zuteilwerden lässt und uns mit seinem Wort stärkt, damit wir Frucht bringen.

Ihr Jörg Beckers, Pfr.

Vielen Dank an Ruth König für das Foto.