Liebe Gemeinde,

6. November 2019 von Anja Nesges

wofür ist die Bibel noch gut? Was sollen all die Geschichten in der Bibel? Manchmal lohnt sich ein längerer Blick und man erkennt: sie erzählen von unserem Leben. Allerdings ist das so, als wenn man in einen Zerrspiegel blickt. Man braucht einen Moment, um sich zu erkennen. Das ist mir anhand einer Geschichte aus dem Alten Testament deutlich geworden. Alt meint eben nicht überholt. Im Gegenteil. Der Zerrspiegel unseres Handels steht im 2. Buch der Könige:

23 Und Elisa ging hinauf nach Bethel. Und als er den Weg hinaufging, kamen klei-ne Knaben zur Stadt heraus und verspotteten ihn und sprachen zu ihm: Glatzkopf, komm herauf! Glatzkopf, komm herauf! 24 Und Elisa wandte sich um, und als er sie sah, verfluchte er sie im Namen des Herrn. Da kamen zwei Bären aus dem Walde und zerrissen zweiundvierzig von den Kindern.

Ein immer noch aktuelles Spiel. Die Regeln sind einfach: Man sucht bei dem anderen einen Schwachpunkt, um sich selbst größer, wichtiger zu machen und besser zu fühlen. Indem die Knaben treffsicher den schwachen Punkt Elisas finden, sein kahles Haupt schaffen sie sich ein Gefühl der Stärke, ja Überlegenheit. Und natürlich ist Elisa nicht mehr so schnell, dass er ihnen folgen könnte. Im sicheren Gefühl ihrer Jugend verspotten sie ihn. Und weil er auf dieses Spiel eingeht und nicht gelassen darüber steht, macht es noch mehr Spaß.

Immer geht darum, dass ich mich mit anderen vergleiche und etwas finde worin ich besser bin oder besser dastehe. Dieses Spiel funktioniert mit dem Aussehen genauso wie mit der Leistungsfähigkeit, es funktioniert mit dem Erfolg wie mit dem Status oder den Ämtern, die ich innehabe, es funktioniert mit der Moral genauso wie mit dem Aussehen des Vorgartens. Hauptsache: Ich bin größer, schöner, besser, erfolgreicher, mutiger, intelligenter, beliebter als der andere.

Aber die Geschichte macht deutlich: Dieses Spiel produziert immer ein Opfer. Denn es gibt immer einen, der ist stärker als ich. In diesem Fall die Bären, die noch mehr Haare und mehr Muskeln haben als die Knaben. Ein tragisches Ende, das nicht nötig gewesen wäre – auch weil der Prophet völlig seine Souveränität verliert und maßlos reagiert. Er setzt die Religion als Waffe ein, um die Knaben zu strafen.

Wir kennen dieses Spiel auch heute nur zu gut. Es fängt im Kindergarten an und hört bei vielen Menschen nie auf. Die sozialen Medien haben diesem alten Spiel noch mal eine neue Qualität verliehen, weil eine ganz andere Öffentlichkeit geschaffen wird. Dieses Spiel wird im kleinen gespielt wie in der großen Politik. Von einzelnen und von ganzen Gruppen, ja manchmal ganzen Nationen. Im Moment erlebt man wieder, wie selbst mächtige Präsidenten sich nicht zu schade sind, dieses Spiel zu spielen.
Das macht deutlich, wie tief dieses Verhalten in uns verwurzelt ist. Wir werden es nur ändern, wenn wir das Übel beim bei ihrer Wurzel packen. Als Kinder lernen wir: Für meine Stärken werde ich belohnt, aber unter meinen Schwächen habe ich zu leiden. Wenn ich etwas falsch mache, werde ich bestraft, wenn ich zu langsam bin, werde ich angetrieben Wenn ich nicht so bin wie die anderen – klüger oder dümmer, dann werde ich dafür gehänselt und so fort. Das führt zu einem tief verwurzelten Gefühl der Unsicherheit. Wir lernen, dass wir uns der anderen nicht sicher sein können, sobald unsere Schwächen zutage treten. Und von da an ist es ein kleiner Schritt auf die Schwächen der anderen zu verweisen, damit meine Schwächen nicht auffallen. Es ist die tiefsitzende Angst vor Ablehnung, die uns dazu bringt, die anderen klein zu machen und bloßzustellen.

Jesus hat für sich diesen Kreislauf durchbrochen. Er hat dieses Spiel nicht mitgespielt. Bis ans Kreuz hat er sich diesem Spiel verweigert und deutlich gemacht: Ich mache mich nicht auf Kosten anderer groß. Er konnte das, weil er sich selbst in der Liebe Gottes geborgen wusste. Seine Wertschätzung und Wichtigkeit hing nicht an dem Urteil anderer Menschen. In der Taufe hat Gott ihm öffentlich erklärt: Du bist mein geliebtes Kind – bedingungslos. Jesus weiß sich geliebt. Das macht ihn stark. Und Geliebte können lieben. Liebe ist das einzige Heilmittel gegen diese Krankheit.

Versuchen wir das doch auch mal. Sehen wir die anderen mit den Augen Gottes – als seine geliebten Kinder. Vor allem: Sehen wir uns selbst als seine Kinder. Dann brauchen wir uns nicht immer mit den anderen zu vergleichen und können auch zu unseren Schwächen und Fehlern stehen.

Ihr Jörg Beckers

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